
Abfall und dessen Management haben nicht nur lokale Vorteile, sondern weltweite, denn: Der Zusammenhang zwischen Abfallmanagement und dem Klimawandel ist beträchtlich.
Weltweit ist der Abfallsektor für 20 % der anthropogenen Methanemissionen verantwortlich (12 % aus festen Abfällen, 8 % aus Abwasser) und ist nach dem Agrar- und Energiesektor der drittgrösste Emittent (Kaza et al., 2018).
Im Jahr 2018 fielen weltweit 2.01 Milliarden Tonnen fester Abfälle an. Bis 2050 dürfte diese Menge auf 3.40 Milliarden Tonnen ansteigen. Im gleichen Zeitraum wird angenommen, dass sich in den südasiatischen Ländern jedoch – darunter auch Bangladesch – aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums, der zunehmenden Urbanisierung und des steigenden BIP die Abfallmenge verdoppelt.
Abfall entlang des gesamten Abfallstroms – von Transport, Verarbeitung bis hin zur endgültigen Entsorgung – emittiert Treibhausgase, insbesondere Methan (CH4), Kohlendioxid (CO2), Lachgas (N2O) und den kurzlebigen Klimaschadstoff Russ («black carbon», ca. 1000-mal klimaschädlicher als CO2) (IGES, 2018).
Fallstudie: Abfallmanagement in der Stadt Gazipur
Gazipur ist mit 2.6 Millionen Einwohner*innen die drittgrösste Stadt Bangladeschs.
In einem Bezirk («Ward») der Stadt, wo sich eine grosse informelle Siedlung (früher Slum genannt) befindet, haben der Rote Halbmond von Bangladesch, das Schweizerische Rote Kreuz und die Stadtverwaltung zusammen ein Abfallmanagement-System aufgebaut (vgl. Bilder unten). Das System ist mittlerweile finanziell selbsttragend.
In diesem System wird der ganze entstehende Abfall von Müllmännern eingesammelt. Die Hälfte der Abfälle wird kompostiert, 2 % rezykliert und 48 % auf einer nahegelegenen Mülldeponie entsorgt.
Der Status quo in der Stadt Gazipur sieht ganz anders aus: Nur die Hälfte des Mülls wird gesammelt und auf der Mülldeponie entsorgt, 2 % wird rezykliert. Die restlichen 48 % werden illegal entsorgt («illegal dumping», 45 %) oder offen verbrannt («open burning», 3 %) (vgl. Blogbeitrag 12).
In meiner Abschlussarbeit des «Master of Advanced Studies in Development and Cooperation» bin ich folgender Frage nachgegangen:
Inwiefern eignet sich das neu aufgebaute Abfallmanagement-System in der Stadt Gazipur zur Verringerung der Treibhausgas- und Russemissionen?
Welche Alternativen gibt es?
Das Abfallmanagement-System des Roten Halbmonds
Der Rote Halbmond von Bangladesch, das Schweizerische Rote Kreuz und die Stadtverwaltung haben zusammen eine «Material Recovery Facility» (MRF, Materialrückgewinnungsanlage) in einem Bezirk in Gazipur aufgebaut.
Ziel: Kompostieren und rezyklieren.
Mit den Dreirädern wird der Abfall von den 8'500 Haushalten (40'000 Menschen) im Bezirk eingesammelt. Wer den Abfall getrennt in organische und nicht-organische Materialien abgibt wird belohnt und bezahlt weniger Abfallgebühren.
Im angrenzenden Recycling-Shop werden die Wertstoffe gesammelt und von der Ladenbesitzerin an spezialisierte Recycling-Dealer weiterverkauft.
In der grossen Halle daneben wird in 60 Boxen der organische Abfall kompostiert.
Die nährstoffreiche Komposterde wird gesiebt, verfeinert, im Labor auf ihre Qualität getestet, verpackt und verkauft.
Früher wurde die Komposterde in durchsichtigen 1-5 kg-Säcken verkauft.
Von rechts nach links seht Ihr die Entwicklung des Verpackungsdesigns über die Zeit.
Ökobilanzierung – Life Cycle Analysis
Eine Life Cycle Analysis (LCA) von Abfall bewertet die Auswirkungen fester Abfälle von der Entstehung über den Transport, die Verarbeitung und das Recycling bis hin zur endgültigen Entsorgung. Die Ökobilanz hilft bei der Entscheidungsfindung für die beste Abfallmanagement-Methode. Sie beruht auf der Quantifizierung der Umweltauswirkungen während des gesamten Lebenszyklus des Abfalls (Peiris & Dayarathne, 2022). Untersucht habe ich den Ausstoss der Treibhausgase Methan (CH4), Kohlendioxid (CO2), Lachgas (N2O) und des kurzlebigen Klimaschadstoffes Russ.
Dafür habe ich die aktuellen Praktiken (1, 2) mit alternativen Müllentsorgungs-Methoden (3, 4, 5) untereinander verglichen.
- Status quo in Gazipur
- Abfallmanagement System des Roten Halbmonds mit Dumpsite
- Abfallmanagement System des Roten Halbmonds mit Sanitary Landfill
- Abfallmanagement System des Roten Halbmonds mit Abfallverbrennung
- Abfallmanagement System des Roten Halbmonds mit Abfallverbrennung und Energierückgewinnung
In Szenario 1 und 2 vergleiche ich den Status quo mit dem aktuellen System des Roten Halbmonds. Rezykliert wird in beiden Szenarien etwa gleich viel, in ersterem allerdings informell, in zweiten formell.
In den Szenarien 3-5 modellierte ich alternative Verfahren für den Umgang mit dem Restmüll. Diese gibt es in der Realität so noch nicht. Ich werde weiter unten diskutieren, wo die Herausforderungen liegen.
Um die Zusammensetzung des gesammelten Abfalls zu eruieren, hat das Team vor Ort über zwei Wochen lang einen Teil der gesammelten Abfälle systematisch getrennt und gewogen.
Einfluss verschiedener Abfallmanagement-Methoden aufs Klima
Im Vergleich zum Status quo in Gazipur können durch das Abfallmanagement-System des Roten Halbmonds mit vollständiger Sammlung des Abfalls und Kompostieren und Abfallentsorgung auf der Müllhalde 58 % Treibhausgase eingespart werden (roter Balken in der untenstehenden Abbildung) und 72 % Russ (man bedenke, dass Russ das Klima über 1000x mehr belastet als CO2).
Treibhausgas-Einsparungen in % verschiedener Abfallmanagement-Methoden im Vergleich zum Status quo in Gazipur. Der rote Balken stellt das Projekt des Roten Halbmonds dar, die grünen weitere Szenarien.
Würde das System des Roten Halbmonds auf die ganze Stadt Gazipur ausgeweitet, könnten somit 23’101 Tonnen CO2-equivalent eingespart werden (vgl. eine Flugreise Zürich–Dhaka für eine Person emittiert 1.6 Tonnen CO2-equivalent) und 1’427 kg Russ. CO2-equivalente geben an, wie viele Einheiten eines Treibhausgas einer Einheit CO2 entsprechen.
Würde der organische Abfall kompostiert, der rezyklierbare Abfall rezykliert und der Restmüll statt auf der offenen Müllhalde («dumpsite») auf einer Sanitary Landfill entsorgt (vgl. Beitrag 12 für den Unterschied), wäre der positive Einfluss aufs Klima noch grösser: 69 % der Treibhausgasemissionen könnten eingespart werden.
Würde der Restmüll in einer Verbrennungsanlage verbrannt, könnten hingegen nur 26 % der Treibhausgase eingespart werden. Ausser man würde aus dem verbrannten Abfall Energie (Hitze oder Elektrizität) gewinnen, dann könnte man ähnlich viele Treibhausgase einsparen wie im System des Roten Halbmonds.
In Anbetracht der Klimaauswirkungen der Netto-Treibhausgas-Emissionen ist das Szenario mit Kompostierung, Recycling und der Restmüll-Endlagerung auf einer Sanitary Landfill die beste Option für Gazipur. Zweitbeste Option scheint das Szenario, in dem Müll verbrannt und Energie gewonnen wird.
Berücksichtigt man auch den Russ-Ausstoss («black carbon»), sind das aktuelle «Rotkreuz-Szenario» mit Kompostieren, Recycling und Müllentsorgung gleichwertig mit dem Szenario «Sanitary Landfill». Die anderen zwei Szenarien stossen 15x mehr Russ aus.
Warum wird nicht mehr Abfall verbrannt?
Dies ist eine Frage, die ich mir selbst lange gestellt habe und die ich auch von Schweizer Bekannten häufig zu hören bekam.
Die Verbrennung von Abfällen führt nur dann zu einer wirksamen Verringerung der Treibhausgasemissionen, wenn die Zusammensetzung der Abfälle berücksichtigt wird, der Feuchtigkeitsgehalt niedrig ist, genügend Abfälle an die Verbrennungsanlage geliefert werden, um sie effizient zu betreiben, und Energie zurückgewonnen wird. Ausserdem müssen die Abfälle an der Quelle getrennt werden, und es muss ein gut funktionierendes System mit ausreichenden personellen und maschinellen Ressourcen vorhanden sein, um eine regelmässige Abfallanlieferung zu gewährleisten. Schliesslich muss die Verbrennungsanlage professionell gehandhabt werden, was Geschick und Ausbildung erfordert, und zur Stromgewinnung muss die Verbrennungsanlage an das Stromnetz angeschlossen sein.
In Bangladesch, wo Müllentsorgung von der Regierung nicht als Priorität betrachtet wird und es kaum Sanitary Landfills gibt, ist dieses Unterfangen der grossangelegten Müllverbrennung meines Erachtens kaum realisierbar.
Empfehlungen für die Stadt Gazipur
- Der Umgang mit Abfall sollte als System betrachtet werden, das uns alle betrifft. Die Abfallbewirtschaftung ist eine Chance – wirtschaftlich, sozial und ökologisch.
- Es sollten Anreize geschaffen werden, dass die Bevölkerung, die Regierung und Firmen ihren Abfall reduzieren.
- Abfall sollte an der Quelle getrennt, kompostiert und rezykliert werden – dies sollte in ganz Gazipur eingeführt werden.
- Die offene Müllhalde («dumpsite») sollte eingestellt und eine Sanitary Landfill gebaut und betrieben werden. Die informellen Müllmänner und Abfallsammler sollten in die Planung und Durchführung aktiv miteinbezogen werden.
- Der Rote Halbmond und das Rote Kreuz sollten ihre Abfallmanagement-Erfahrungen mit weiteren Partner*innen aus der Politik und dem NGO Sektor teilen.
- Abfallmanagement sollte auf allen politischen Ebenen gesetzlich verankert, implementiert und bei Nicht-Einhalten sanktioniert werden.
- Ein Business-Modell sollte für ganz Gazipur erstellt werden, um Kosten und Verdienstmöglichkeiten aufzuzeigen. Internationale Organisationen könnten die Investitionskosten tragen, während sich die lokale Regierung verpflichtet, die operationellen Kosten und das Management zu übernehmen.
Vielen Dank fürs Lesen und Euer Interesse. Solltet Ihr Fragen oder Anregungen haben, schreibt mir bitte oder hinterlasst einen Kommentar!
Dies ist eine unabhängige Blogreihe. Falls Euch der Blog gefällt und Ihr mich in diesem Kreativprozess finanziell unterstützen möchtet, würde ich mich sehr freuen:
Postfinance CH04 0900 0000 6015 1695 9 oder via TWINT,
Vermerk "Bangladesch Blog".
Kommentar hinzufügen
Kommentare
Wiederum ein Beitrag, der viele Einsichten vermittelt - auch (und gerade) dem Laien. Quantitative Abfallprobleme hängen ja direkt auch mit der Bevölkerungszahl zusammen - aber auch mit der verständlicherweise überall angestrebten Steigerung des Lebensstandards. Abfallverminderung/-vermeidung - auch ein Thema? - So oder so, Mirjam, Danke für Deine Arbeit und Dein Engagement!
Danke Miriam
Das war jetzt eine riesen Arbeit, die du da geleistet hat.
Es hat mir ganz neue Erkenntnisse über den Sinn des Abfallmanagement in armen Ländern gezeigt.
Es war sehr spannend deine Ausführengen und Gedanke zu lesen.
Hab herzlichen Dannk
Sepp