
Nach dem Besuch der Müllhalde in Chakaria (siehe Blogbeitrag 11) – und der Erkenntnis, dass es sich bei derselben um eine «kleine» Deponie handelte – wollte ich noch mehr über die Endlagerung von Abfall in Bangladesch erfahren – und insbesondere auch sehen.
Bisher war mir einiges bekannt über die Müllentsorgung in der Schweiz, die bis in die 1960er Jahre ähnlich funktionierte wie heute in Bangladesch. Mülldeponien waren lange die gängie Entsorgungweise – im Wald, am Dorfrand oder im Grossformat wie in Kölliken oder dem Stadtmist in Solothurn. Infolgedessen gibt es heute in der Schweiz 38'000 belastete Standorte, 4'000 dieser Altlastenstandorte müssen laut Bundesamt für Umwelt saniert werden! (BAFU)
Heute besuchen wir kleine und grosse Mülldeponien in Bangladesch, sogenannte «dumpsites» in den Städten Cox’s Bazar und Gazipur, eine «sanitary landfill» im Rohingya Flüchtlingslager – für Euch exklusiv: Sauber und geruchfrei.
Was ist der Unterschied zwischen einer «dumpsite» und einer «sanitary landfill»?
Auf einer Dumpsite wird Abfall ungeordnet entsorgt, ohne dass versucht wird, den Einfluss auf die Umwelt zu minimieren – genauso wie in der Schweiz der 1960er Jahre. Das ist leider bis heute das Standardverfahren in Bangladesch. Gibt es keine Müllabfuhr oder ist diese nur eingeschränkt funktionsfähig, ist die gängigste Alternative «open dumping», d.h. der Müll wird am Strassenrand, hinter dem Haus, im nächsten Reisfeld oder im nächstgelegenen Teich entsorgt (siehe Bild). Seltener, aber auch praktiziert, ist «open burning», d.h. Abfall wird irgendwo eigenständig verbrannt nach dem Motto: Weg ist weg.
Beispielsweise wird der Abfall gesammelt und in Gewässer oder an den Strassenrand gekippt, hinter dem Haus entsorgt, oder manchmal auch öffentlich verbrannt.
(Foto von Kamrul Hassan, BDRCS Urban Desk)
Auf einer Sanitary Landfill hingegen wird der Müll durch ein technisches Verfahren von der Umwelt isoliert, um das Austreten schädlicher Stoffe in den Boden, ins Wasser und in die Luft zu minimieren und Gesundheitsgefahren vorzubeugen. Solche Sanitary Landfills gibt es (noch) praktisch nicht in Bangladesch (Islam, 2021) – ausser für die eine Million Rohingyas im Kutupalong Flüchtlingslager! (Ja, lest das noch einmal, die einzige Mülldeponie mit ausgebauten «sanitary arrangements» ist die im Kutupalong Flüchtlingslager!)
Last uns aber «kleiner» anfangen, mit der Deponie (dumpsite) in Cox’s Bazar, einer Stadt mit 170'000 Einwohnern:
Cox's Bazar: Temporäre Müllentsorgung auf enteignetem Land
Auf den Märkten wird der Müll zusammengewischt.
Ein Teil des organischen Mülls wird von den Kühen gefressen.
Menschen suchen Wertstoffe aus den Müllbergen, die sie später weiterverkaufen können.
In den (grossen) Strassen von Cox’s Bazar wird der Müll jeden Morgen von den Müllmännern der Stadt zusammengewischt. Der Abfall wird mit Handkarren eingesammelt und schliesslich auf einen Lastwagen umgeladen.
Abfalldeponie am Rand der Stadt.
Es befinden sich v.a. Plastik und etwas organisches Material unter dem Müll. Getrennt wird nicht. Nur was einen ökonomischen Wert hat, wird teils vorher aussortiert, wie etwa PET-Flaschen…
Einige PET-Flaschen finden sich aber auch noch im herantransportierten Müll … und werden von den Menschen auf der Müllhalde aussortiert und später verkauft.
Menschen auf der Müllhalde?
Ja, da leben Menschen!
Und Tiere ...
Wer findet die Kuh auf dem Bild?
Das Hauptmerkmal einer Dumpsite:
Es wird keine Rücksicht auf die Umwelt genommen. Die verschmutzte Pfütze, deren Wasser früher oder später in den nahegelegenen Fluss fliesst, ist einfach da.
Diese Müllhalde wurde überigens auf Privatland aufgeschüttet, als «temporäre Lösung». Der Eigentümer wurde nicht entschädigt. Aussicht auf eine permanente Alternative gibt es nicht.
Besser als eine Dumpsite wäre für die Menschen in Cox's Bazar eine Sanitary Landfill, aber dafür fehlen der Wille, das Geld und die Expertise. An einem anderen Ort ganz in der Nähe waren all diese drei Komponenten vorhanden: Im Kutupalong Flüchtlingslager.
Kutupalong Flüchtlingslager: Müll-Endlagerung für
1 Million Menschen
Warum genau dort? Im Rohingya Flüchtlingslager funktioniert alles ein wenig anders als im Rest des Landes. Es ist ein System im System, in dem die UNO zusammen mit der Regierung von Bangladesch die Führung übernommen hat. Abfallmanagement ist Teil des grösseren Ziels, das Gesundheitsrisiko im Flüchtlingslager zu reduzieren und die Hygienestandards zu erhöhen. Investitionen fliessen dank ausländischer Geldgeber*innen.

Zu Beginn der Flüchtlingswelle 2017/2018 wurde am Rand des Kutupalong Flüchtlingslagers eine riesige Grube ausgehoben, um den Abfall der 1 Million Menschen im Lager nach neuster Technik zu vergraben. Der Abfall wird gestapelt, auf eine Schicht Abfall folgt eine Schicht Erde, …
(Foto von J. Gravleau, UN WASH Coordinator)

Die Grube wurde mit einer schwarzen Plane ausgekleidet, damit die austretenden Schadstoffe nicht in die Umwelt gelangen. Diese werden stattdessen unterirdisch aufgefangen und abgeleitet. Die weissen Rohre dienen der Abführung der Gase (z.B. Methan), die sich im gestapelten Müll ansammeln.
(Foto von Julien Gravleau, UN WASH Coordinator)

Das Ganze wird mit einer Walze flachgedrückt …
(Foto von J. Gravleau, UN WASH Coordinator)

Als wir im Herbst 2023 da waren, sah es allerdings so aus.
Schaut Euch an, wo die schwarze Folie ist und wo die Bäume, sprich der obere Rand der Deponie: Die Deponie ist fast voll!
Die Sanitary Landfill des Kutupalong Flüchtlingslagers war 2023 4-5 Jahre alt und fast vollständig gefüllt. Es war erwartet worden, dass sie innerhalb eines Jahr voll sein würde. Als Konsequenz wurde der Abfall, der täglich auf die Deponie geführt werden durfte, rationiert. Die Anzahl der von den Organisationen bereitgestellten (und bezahlten) Arbeitskräfte, um die Deponie zu managen, wurde ebenfalls reduziert.
Die grossen Fragen: Wo gibt es Platz für eine neue Sanitary Landfill? Freies Land ist ein rares Gut in Bangladesch! Wo die Expertise hernehmen? Und das Geld? Diese humanitäre Krise wird nicht umsonst als «vergessene Krise» bezeichnet. Die finanziellen Mittel werden überall gekürzt. Auch beim Abfallmanagement. Wieder einmal wird das Paradox der humanitären Hilfe ersichtlich: Es ist «attraktiver», in die Ukraine und Gaza «zu investieren», als in die «aussichtslose, bereits siebenjährige Rohingya-Krise».
Nun müsste die Entwicklungzusammenarbeit greifen und die humanitäre Hilfe ablösen. Dieser Übergang dauert allerdings oft Jahre und setzt ein immenses Engagement, eine grosse Koordinationsbereitschaft und, wie immer, die Zahlungsbereitschaft internationaler Geldgeber*innen voraus.
Dabei würde sich Abfallmanagement wirklich, wirklich lohnen. Für die Gesundheit der Leute. Fürs Klima. Für uns alle.
Gazipur: Leben auf dem Müllberg
Nun möchte ich Euch noch an den letzten Schauplatz mitnehmen: Nach Gazipur, einer 2.5 Millionen Stadt nördlich von Dhaka. Das Schweizerische Rote Kreuz unterstützt dort ein weiteres Abfallprojekt.
Der grösste Abfallberg, den wir heute besuchen werden, bildete übrigens die Grundlage für meine Abschlussarbeit des «Master of Advanced Studies in Development and Cooperation». Ich habe untersucht, welchen Zusammenhang es zwischen Abfallmanagement und Klimawandel gibt. Dazu aber im nächsten Beitrag mehr.
Lassen wir die Theorie erst einmal beiseite und schauen uns das Ganze praktisch an …

Besuch der Müllhalde (Dumpsite) von Gazipur ... von unten ... und von oben

Oben auf der Müllhalde arbeiten informelle Abfallsammler ...

Auch Kühe leben auf der Müllhalde und suchen sich organische Überreste raus.
Diskussion auf der Müllhalde mit einem Abfallsammler und dem Baggerfahrer.
Und wie sind WIR da hoch und wieder runtergekommen?
Mit dem Bagger!

Vielen Dank fürs Lesen und Euer Interesse. Solltet Ihr Fragen oder Anregungen haben, schreibt mir bitte oder hinterlasst einen Kommentar!
Dies ist eine unabhängige Blogreihe. Falls Euch der Blog gefällt und Ihr mich in diesem Kreativprozess finanziell unterstützen möchtet, würde ich mich sehr freuen:
Postfinance CH04 0900 0000 6015 1695 9 oder via TWINT,
Vermerk "Bangladesch Blog".
Kommentar hinzufügen
Kommentare
...da bleibt einem ein Kommetar im Halse stecken...
Enorm! - Dieser Beitrag ist wirklich interessant, weil er fundamentale Problematiken aufzeigt. Und wie Du anmerkst: Sie gehen via Klimawandel auch uns etwas an. - Und: Menschen auf dem Müll ... sie gelten dort vermutlich als "Müll". - Kommt hinzu, dass es solche "Müllmenschen" (und die ungelösten ökologischen Probleme) auf dem afrikanischen Kontinent genauso gibt - vielfach ...
Danke Miriam für das Teilen.
Es dünkt mich, es sieht wie eine aufsichtlose Aufgabe an. Und trotzdem muss man an einen Erfolg glauben. Der Weg der kleinen Schritte.
Es wir einem fast übel, wenn man die riesigen Müllberge sieht.
E guetei Ziit
Herzlich
Sepp
Ja, ein sinnvoller, möglichst umweltschonender Umgang mit den Abfällen einer wachsender und sehr armer Bevölkerung ist eine riesige und absolut notwendige Herausforderung. Mich würde es gelegentlich interessieren, wie du ausgerechnet auf dieses zwar nicht sehr "sexy" dafür sehr zentrales Thema gekommen bist...
Ein Hoffnungsschimmer: ja, auch bei uns in der CH war es so. Und heute undenkbar geworden.
Und wie du es klar zeigt: bei den Rohingyas sind schon Fortschritte sichtbar.