11. Drei Hochs: Hochzeiten, Saris und Müllhalden

Heiraten in Bangladesch

Die zweite Hälfte des Oktobers und Novembers gingen um einiges entspannter und farbiger weiter!

In diesen Monaten war ich gleich zu zwei Hochzeiten eingeladen.

Eine bengalische Liebes-Hochzeit in Chittagong.
(Foto mit Genehmigung des Brautpaars)

Hochzeiten in Bangladesch sind normalerweise nicht nur Verbindungen zwischen zwei Individuen, sondern zwischen zwei Familien. Die Mehrheit der Hochzeiten sind arrangiert. Dabei wird von den Familien oder von den Familien nahestehenden Heiratsvermittler*innen, ein möglichst passender Match gesucht. Ausschlaggebend sind die Religion und der soziale Status. Zudem darf der Mann zur Zeit der Eheschliessung nicht arbeitslos sein.

Dabei kommt es durchaus vor, dass die zukünftigen Eheleute mitreden dürfen. Ein Freund von mir, der kürzlich verheiratet wurde, hat mir erzählt, dass er einige Vorschläge seiner Eltern abgelehnt hätte. Zu jung. Nicht gut gebildet. Nach dem ersten Treffen nichts zu reden. Eine Kollegin wiederum, die sich klar gegens Heiraten sträubt, erzählte mir, dass ihre Eltern den Versuch, sie zu verheiraten, aufgegeben hätten. Dies, nachdem sie realisiert hatten, wie teuer die Hochzeit ihrer älteren Schwester war.

Allerdings gibt es, wie überall auf der Welt, auch Liebes-Hochzeiten. Am Schluss müssen immer noch die Eltern zustimmen. Aber auch da gibt es einige Tricks. Das geht so weit, dass ein Kollege von mir, der zur Zeit der Hochzeit auf Jobsuche war, seine Lohnauszüge der letzten Monate fälschte. Er wollte damit dem Vater seiner zukünftigen Braut versichern, dass er für dessen Tochter würde sorgen können.

An der Mehedi Nacht, dem ersten Abend der zweitägigen Hochzeit, ist der Dresscode gelb.
Dafür durfte ich einen Sari der Frau eines Arbeitskollegen ausleihen.
Meine erste Erfahrung in einem Sari.

Ein traurigeres Kapital sind die Kinderehen. In Bangladesch werden 51% der Mädchen und 4% der Jungen vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet. 15% der Mädchen gar vor dem 16. Lebensjahr. Gesetzlich liegt das Mindestalter für Mädchen bei 18 Jahren, für Jungen bei 21.

Genderungleichheit ist einer der grössten Faktoren für Kinderehen. Mädchen haben in der muslimisch geprägten Gesellschaft Bangladeschs immer noch einen tieferen Stellenwert als Jungen. Zudem ist die weitverbreitete Armut ausschlaggebend. Kann eine Familie ihre Tochter in jungen Jahren verheiraten, stellt das Mädchen keine ökonomische Last mehr für die Familie dar. Zudem ist der Brautpreis für junge Mädchen tiefer als für ältere. Auch ein tieferer Bildungsstand korreliert mit früherer Heirat.

Gender-Normen und Glaube sind weitere Faktoren. Es gilt als «Schande», wenn die Tochter nicht verheiratet ist – der Glaube, dass eine verheiratete Frau an sozialem Status gewinnt, ist weit verbreitet. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein junges Mädchen bei der Eheschliessung tatsächlich noch Jungfrau ist, viel höher. Heiraten wird somit auch als Schutz vor sexueller Belästigung und Vergewaltigung betrachtet … wobei die häusliche Gewalt in Ehen und die generelle Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft (auch nach der Ehe) grosszügig ausgeblendet werden.

Nun zurück aber zum schönen Teil:

Für den zweiten Abend der Hochzeit gab es keinen Farbcode mehr: Farbig war die Devise.
Und: Wedding time is friends and colleagues time... and selfie time...

Lang lebe der Sari!

Die beiden Einladungen zu den Hochzeiten waren für mich DIE Gelegenheit, mich mit dem traditionellen Sari näher auseinanderzusetzten. Ein Sari ist ein zwischen ca. 6 und 8 Meter langes, leichtes Tuch, oft aus Baumwolle, Seide oder synthetischem Material.

Es gibt über 20 Arten, wie man einen Sari tragen kann (hier 15 davon). Und ja, Saris sind wunderschön!

Trauriger Fakt: Mir wurde erzählt, dass in der ganzen Social Media-Gesellschaft die Frauen für jeden Anlass einen neuen Sari kaufen müssen. Der Grund: Alle anderen Saris, die sie vorgängig getragen haben, schwirren bereits irgendwo im Netz herum. Und das gleiche Prachtstück zweimal zu tragen, geht ja gar nicht … oder? Naja. Was ich beobachtet habe ist, dass die Frauen daher oft billige Saris tragen, was man den Saris dann leider ansieht … Die Würde liegt im Stoff UND in der Trägerin.

Meine Business Idee, eine Second Hand Sari Plattform aufzubauen, ist noch in der Visionsphase ...

Was es bereits auf dem Markt gibt, ist das "repurposing" von Saris, d.h. aus alten Saris entstehen neue, vielfältige Kleidungsstücke. Mir bekannte Marken sind I was a Sari oder Cofur. Kennt ihr noch mehr?

Mein roter Sari, ausgeleg, in seiner vollen Länge: 8 Meter.

Erfahrung mit Schönheit – eine schöne Erfahrung

Ich erhielt oft Komplimente dafür, dass ich im Sari wunderschön aussähe, von Männern wie auch von Frauen. Was mir dabei auffiel: Die Komplimente fühlten sich echt, rein und voller Wertschätzung an.

Wenn in der Schweiz ein Mann einer Frau sagt, sie sehe schön aus, wird das von der Frau oft nicht sehr gut aufgenommen (ausser vielleicht Komplimente vom eigenen Partner oder der Familie). Weshalb? Meine Beobachtung ist, dass Frauen Komplimente zu ihrem Äusseren oft in einer «sexualisierten Form» verstehen. Oder sie auch als solche ausgesendet werden. Warum reduziert er mich auf mein Äusseres, auf mein Aussehen? Was kann ich für mein Aussehen? Was will er von mir? Ich bin doch viel mehr als meine Erscheinung!

In Bangladesch (und auch aus Indien kenne ich das), habe ich eine ganz andere Erfahrung gemacht. Schönheit ist schön, darf schön sein, und muss keinen anderen Zweck erfüllen als schön zu sein. Und das schliesst alles andere wie Klugheit, Aufgestellt sein, hartes Arbeiten oder Intellekt, nicht aus – sondern ist eben: eine schöne Ergänzung.

Die schönen Frauen aus Japan, der Schweiz und Bangladesch

Auch das Tikli, eingeflochten in die Haare, platziert auf der Stirne, durfe nicht fehlen.

Ablauf einer Hochzeit

Die zweite Hochzeit, zu der ich eingeladen wurde, war in der Nähe von Cox's Bazar. Auch diese war eine muslimische Hochzeit. 

Vor der Zeremonie wird standesamtlich geheiratet. Viel wichtiger ist aber das eigentliche Fest mit den Gästen, die Mehedi Nacht, auch Holud genannt, am ersten Abend und das grosse Fest am Folgetag.

Dabei geht es für die 500-1000 Gäste vor allem ums Zusammensein, Essen und Fotos machen. Was mir zum Glück im Voraus gesagt wurde ist, dass die Hochzeitsessen oft sehr stressig sind. Es gibt viel zu essen und wenig Zeit. Der Grund: bei 500+ Gästen und Sitzplätzen für vielleicht 100 Personen, muss der Durchlauf schnell und effizient vonstattengehen.

An dem Tag in blau-grün.
Vor dem Hochzeitsessen besuchten wir einen buddhistischen Tempel in der Gegend.
Das Schöne dort: Die Stille, die Natur und die Entschleunigung, die dieser Ort ausstrahlte.

Das Highlight einer Hochzeitsfeier ist jeweils, wenn der Bräutigam ankommt. Die Braut befindet sich bereits im Raum bei den Gästen. Die Freundinnen der Braut stehen an der Tür. Wenn der Bräutigam mit seinen Freunden ankommt, wird ihm der Zugang zur Hochzeitslokalität verwehrt. Er muss zuerst beweisen, dass er seiner Zukünftigen würdig ist. Die Freundinnen der Braut fragen ihn aus, stellen ihm Rätsel, verlangen Blumen, Süssigkeiten und Geld. Der Bräutigam gibt alles, unterstützt von seinen Freunden. Es wird heftig diskutiert, verhandelt, gefordert. Ein grosses Spektakel! Erst wenn er diese Feuertaufe überstanden hat, wird er zu seiner Verlobten gelassen.

Ein Abstecher auf dem Heimweg

Mein persönliches Highlight an diesem Tag waren aber weder die Hochzeit noch der Besuch im buddhistischen Tempel. Sondern: Der Besuch auf der Müllhalde in Chakaria auf dem Rückweg nach Cox’s Bazar. Die wollte ich mir schon lange einmal anschauen, da ich noch nie im Leben eine Müllhalde gesehen hatte!

So eindrücklich, ein zwei Fussballfelder grosses Gebiet voller Abfall aus der ganzen Region …

Nach der Hochzeitsfeier auf der Müllhalde in Chakaria.

Die Frau mit ihren beiden Kindern sortiert Wertgegenstände aus dem Müll wie PET-Flaschen oder Aludosen, die sie weiterverkaufen kann, um ihre Familie über Wasser zu halten …


Später habe ich gelernt, dass diese Müllhalde zu den kleineren gehört!

 

So nehme ich Euch nächstes Mal gern auf eine Müllhalden-Tour mit!

 

*** Danke, M.B., für deine Freundschaft und deine Hilfe beim Kauf und dem Anziehen der beiden Saris.***

 

 

Vielen Dank fürs Lesen und Euer Interesse. Solltet Ihr Fragen oder Anregungen haben, schreibt mir bitte oder hinterlasst einen Kommentar!


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Kommentare

Johanna
Vor 18 Tage

Eindrücklich

Andi
Vor 17 Tage

Wiederum interessant zu lesen, Mirjam. - Der Kontrast von Saris, Hochzeiten, Lebensfreude und der Müllfrau mit den Hunden ist krass - aber die Realität der lokalen Gesellschaft widerspiegelnd (und das gibt es an so vielen Orten der Welt): Extreme Spannweiten zwischen Wohlstand und Armut ... Dein Bericht zeigt sie anschaulich.

sepp
Vor 17 Tage

Danke Miriam fürs Teilen.
Was für schöne Fotos. Und du machst im Sari eine wunderbare Figur, im Umgangs Sprach gebrauch.
Es sind wirklich alles sehr schöne Menschen auf den Fotos. In den Slams, sieht das natürlich anders aus. Auch wenn diese Menschen / Frauen die Saris mit Würde tragen.
Ich freue mich auf weitere spannende Berichte.
Herzlich
Sepp

Ulrika
Vor 16 Tage

Liebe Mirjam, wunderschön siehst du aus im Sari. Braucht man zum Befestigen am Schluss eine Brosche oder dergl.? Und in jedem deiner Berichte dieses Wechselbad von Licht und Schatten, Müllhalde und Feste….sehr eindrücklich, lg Ulrika

Annette
Vor 11 Tage

Himmel und Hölle - Licht und Schatten - So eindrücklich, liebe Mirjam. Und du strahlst im Sari! (Aber auch ohne ihn)